Geschichte der Frankfurter Bürgervereine
Heinrich Hoffmann - Vater der Frankfurter Bürgervereine
Heinrich Hoffmann, uns besser bekannt als Struwelpeter-Autor und Nervenarzt, engagiert sich auch gesellschaftlichund politisch. Diese ehrenamtlichen Engagements werden deutlich sichtbar während seiner Zugehörigkeit zur Freimaurerloge "Zur Einigkeit", in seinem Wirken als Städel-Administrator und bei seiner Gründung eines Bürgervereins. 1836 nimmt ihn die Loge "Zur Einigkeit" auf. Der Freimaurer Hoffmann fühlt sich einerseits zu Dank verpflichtet, hat ihm die Loge doch einen beachtlichen Teil seines Studiums finanziert, andererseits möchte er Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. In der Loge glaubt er den passenden Rahmen zu finden.
In seinen Lebenserinnerungen schreibt er: "Als nach einigen Jahren selbst unsere freisinnige Loge sich bewogen fühlte, gegen die Anerkennung jüdischer Maurer sich auszusprechen, so fand ich in solchem Beschluß einen zu argen Widerspruch gegen den Grundsatz, daß in Logen weder von Politik noch von religiösen und konfessionellen Dingen gesprochen und verhandelt werden durfte, und ich trat dann wieder aus. Während seine Logenbrüder für mehr Toleranz gegenüber Juden weiterkämpfen und in Frankfurt allmählich eine Öffnung der Freimaurerlogen für Juden erreichen, gibt sich Hoffmann
mit seinem humanitären Bekenntnis zur Toleranz gegenüber Andersgläubigen und mit dem Anspruch auf Gleichberechtigung zufrieden.
1841 übernimmt der kunstinteressierte Hoffmann voller Freude das Ehrenamt eines Städel-Administrators, ohne zu ahnen, in welchen konfessionellen Streit er bei einem Bilderkauf gerät. Auch hierzeigt sich Hoffmanns grundsätzliche Haltung zu unbedingter Toleranz in Glaubensfragen. Nach 14 Jahren mehr Frust als Lust legt er das Amt nieder und beginnt mit dem Bau seiner neuen Innenstadt.
Die Frankfurter Paulskirche - Aufbruch zur Freiheit
1848 brausen die politischen Ereignisse wie ein Frühlingssturm über ganz Europa. Deutsche Demokraten fordern die Nationalversammlung. 574 von ihnen treten in Frankfurt zu einem Vorparlament zusammen. In der Paulskirche beschließen sie, eine verfassungsgebende Nationalversammlung nach Frankfurt einzuberufen. Am 18. Mai 1848 zieht das erste gewählte gesamtdeutsche Parlament feierlich vom Rathaus "Römer" in die nahegelegene und erst kürzlich umgewidmete Paulskirche. Heinrich Hoffmann wird als einer von zehn Repräsentanten der Frankfurter Gesetzgebenden Versammlung in das Vorparlament geschickt. Er hat wenig Verständnis für das Erscheinungsbild des Parlamentarismus. In dem "Wirrwar jener Tage" (so Hoffmann) meldet sich der politverdrossene Heinrich Hoffmann kein einziges Mal zu Wort. Die Sitzungen der Nationalversammlung vom Mai 1848 bis in den Juni 1849 verfolgt er nur noch als Beobachter:
"ich verlor das lebhafte Interesse an der ganzen Geschichte." Auch in der Rückschau zeigt Hoffmann völliges Unverständnis für die tatsächliche Arbeit und Leistung dieses ersten gesamtdeutschen Parlaments.
Heinrich Hoffmann - Gründer des ersten Bürgervereins
Hoffmann bedacht auf Ausgleich und auf Toleranz, ist für die sich polarisierende Politiklandschaft nicht geschaffen. Mit Abscheu und Verdruß wendet er sich vom Widerstreit der großen Politik ab und sucht vor Ort über die Grenzen hinweg zu wirken. Er gründet den ersten Bürgerverein in Frankfurt am Main. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er :" In die Zeit zwischen Vorpparlament und Parlament fällt auch die Gründung des Bürgervereins, auch eine meiner Vereinsgründungen. Ich schrieb etwa ein Dutzend Briefe an Bekannte, Kaufleute, Gelehrte und Handwerker, Protestanten, Katholiken und Juden, in denen ich sie einlud, bei mir zusammenzutreffen, um eine für die Stadt nicht unwichtige Angelegenheit zu besprechen."
Die Einladung stößt bei den Frankfurter Bürgern auf lebhaftes Interesse. Bereits beim Gründungstreffen am 2. Mai 1848 treten 448 anwesende Bürger dem neuen Verein bei. Ende 1848 hat er fast 1.000 Mitglieder. 1875 ist mit 2.108 Mitgliedern die Höchstzahl erreicht. Die Vereinsmitglieder verkehren miteinander ohne Rücksicht auf gesellschaftliche, wirtschaftliche oder konfessionelle Unterschiede. Ja, ein erklärtes Ziel Hoffmanns ist es, bestehende Klassenschranken zu nüberwinden. Eine Programmschrift von Ende April 1848 betont den reformerischen Charakter des Vereinsanliegens.
"Ernstlich muß Hand an´s Werk gelegt werden, aber nicht um niederzureißen, sondern um aufzubauen;
denn alles Abgelebte zerfällt vonselbst, sobald ein Neues und Besseres sich an seiner Stelle entwickelt, und mehr als genug ist der Boden gelockert, um eine kräftige Saat fröhlich aufgehen und gedeihen zu lassen.
So kann es denn im Mai 1848 anläßlich der Gründungsversammlung des ersten Frankfurter Bürgervereins nur folgerichtig heißen: "Mächtige Ereignisse haben in den letzten Wochen mit dem gesamten Europa auch unser Vaterland und unsere Vaterstadt bis ins innerste bewegt und erschüttert. Es ist ein neuer, frischer Volksgeist, der langsam und kräftig herangereift, endlich gewaltsam sich erhoben ... und nun nach neuer und sicherer Gestaltung ringt. Eben deshalb sind es ... auch alle einzelnen gesellschaftlichen Verhältnisse, die davon, die davon mehr oder weniger betroffen werden; ... bis ins innerste der gesellschaftlichen Kreise dringt der neue Geist und trennt und zersplittert, damit in neuer, naturgemäßerer Verbindung die gesellschaftlichen Elemente sich wieder vereinigen. Es scheint deshalb nur als notwendige Folge ... wenn einige Männer unserer Stadt den Gedanken gefaßt haben, einen allgemeinen Bürgerverein zu gründen, in den ... ohne Unterschied des Standes, Berufs und Glaubens jeder ehrenhafte Einwohner Frankfurts sich kann aufnehmen lassen."
Der Frankfurter Bürgerverein - seine bleibende Idee
Der Zweck des Vereins wird im ersten Paragraphen der Satzung festgelegt: "Der Bürgerverein ist ein Verein von Männern aus allen Ständen und bezweckt Unterhaltung, Belehrung, Erholung der Mitglieder durch Lectüre, mündlichen Gedankenaustausch, Vorträge - alles mit besonderem Hinblick auf die öffentlichen Verhältnisse unseres Vaterlandes und unserer Stadt." Noch vor den großen Debatten und Entscheidungen des Paulskirchenparlaments wird hier die Versammlungs-, Vereinigungs- und Pressefreiheit festgeschrieben und gelebt.
Hoffmann löst die politischen Fragen auf seine Weise. Er kämpft nicht gegendie Unfähigkeit und den Unwillen der Bürger, ihren Wohlstand und ihre erkämpften Rechte mit den Arbeitern zu teilen. Er führt keine "doktrinären Debatten" wie das Honoratioren- oder Professorenparlament - diese Elite der Männer von Bildung und Besitz. Hoffmann bleibt immer ein Mann des Ausgleichs, schlägt Brücken zwischen den Ständen und Klassen, er vereint die Parteien und Konfessionen, er führt die Bürger zu gemeinsamen Interessen, er formt die Idee des Bürgervereins - und das bis heute.
Der Verein damals gestaltet gesellige Abende, behandelt gesellschaftliche, aber auch politische Themen und hält im Lesesaal die wichtigsten Zeitungen bereit. Der Bürgerverein will sich gemäß seiner Satzung nicht in den aktuellen Streit der
politischen Meinungen einlassen. Doch im Schatten der Paulskirche kommt es auch hier zu Richtungskämpfen. Hoffmann: "Es sollte das anprallen politischer Parteien verhütet und vieles in geselligem Verkehr und durch Vorlesungen und Belehrungen ausgeglichen werden." Seit 1852 residiert Frankfurts erster Bürgerverein im Haus "zum Fischborn", dem seinerzeit architektonisch schönsten Hause Frankfurts, zuvor Sitz des Reichsverwesers Erzherzog Johann von Österreich. Unter dem Ehrenpräsidenten Heinrich von Gagern enden sehr bald die politischen Aktivitäten. In den Vordergrund treten mehr die gesellschaftlichen.
Knapp ein Jahr nach der Gründung spaltet sich der Verein "Wegen Verschiedenheit der politischen Ansichten". Der demokratisch-republikanische Teil trittaus und gründet einen neuen Bürgerverein. Unversöhnlich liefern sich beide heftige Debatten. Die Geschehnisse in der benachbarten Paulskirche verfolgt Hoffmann nur noch am Rande und resigniert schließlich. Er, der Konservativ-Liberale, zieht sich nun aus der Lokalpolitik zurück. Der Mann geht, doch seine Idee bleibt.
Schwächung des städtischen Rats - Stärkung des Bürgersinns
Im 18. Jahrhundert bietet eine rein aristokratische Stadtregierung den Bürgern noch keine Gelegenheit zur Entwicklung einer freien Initiative. Erst die folgenden Jahrzehnte bringen eine schrittweise Verbesserung der Vertretung der Bürgerschaft. Am 3. Oktober 1866 kommt Frankfurt zu Preußen. Am25. März 1867 erhält die Stadt ein Gemeinde- verfassungsgesetz. Mit seinem Paragraphen 66 eröffnet sich jetzt die Möglichkeit, in gemischten Deputationen (Kommissionen) neben Mitgliedern des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung auch stimmfähige Bürger an der Verwaltung zu beteiligen.
Davon machen ab jetzt zahlreiche parteipolitisch nicht gebundene Frankfurter Bürger reichlich Gebrauch.
So erklärt sich, warum immer häufiger freie Bürger im Frankfurter Umland Bürgervereine gründen, darunter 1877 die Einwohner in Heddernheim, daß seit elf Jahren auch zum Landkreis Frankfurt gehört. Ähnlich entwickelt es sich 1882 im Frankfurter Nordend.